Berglinsen
In der Rubrik ‘Kulinarische Notizen aus der Region’ gehe ich unterschiedlichen Themen rund um Lebensmittel in Braunwald (einem Bergdorf in der Schweiz) nach und porträtiere diese im zweimal pro Jahr in print erscheinenden Magazin und ich veröffentliche sie auf dieser Website in voller Länge. In dieser Ausgabe gehe ich dem Thema Fleischersatzprodukte nach.
Kulinarische Notizen aus der Region: Von Berglinsen bis Zoggle
Während der Skisaison bekam ich, zu meiner Überraschung, auf 1772 Metern über Meer einen Linsenburger serviert. Aufmerksamen Leser:innen wird nun auffallen, wo ich diesen serviert bekam, gibt es doch dort die bekannten hausgemachten Crèmeschnitten, die in der Gastro-Kritik in dieser Ausgabe ihre Würdigung bekommen. In den ersten Januarwochen führte mich ein Wochenende nach Braunwald, nicht aber in die vertrauten vier Wände des Ferienhauses. Nein, vielmehr führte der Aufstieg in die Ortstockhütte – ein Zufluchtsort für Mittagessen, um dem Trubel der anderen Bergraststätten zu entfliehen. Aber wieso dort übernachten, wenn man den privilegierten Zugang zu einem der kleinen Chalets weiter unten im Dorf hat? Es kann die Stille sein, die unverbaute Aussicht oder die Architektur, um nur erste Stichpunkte festzuhalten. Letzteres hat mich an diesem Abend zum Ortstockhaus gebracht.
Nun aber zurück zum hausgemachten Linsenburger. Linsen gehörten in meiner Kindheit nicht zu meiner Leibspeise, doch habe ich sie spätestens seit der Lektüre von Liz Carlisle’s Buch Lentil Underground schätzen gelernt. Die Autorin begleitet eine Gruppe von Bäuer:innen in Montana, die durch den Anbau von Bio-Linsen die gängigen landwirtschaftlichen Monokulturpraktiken in Frage stellen. Der Titel stammt jedoch nicht nur von der Untergrundbewegung dieser Bäuer:innen sondern auch von der ‘Untergrundarbeit’ der Linsen. Während die Pflanzen eher kümmerlich aussehen – gerade im Vergleich zu den vorherrschenden Maispflanzen in der genannten Region – entfalten sie ihre Schönheit unter dem Boden. Linsenpflanzen können atmosphärischen Stickstoff im Boden fixieren, durch ihre Wurzeln verändern sich die Bodenstrukturen, was die Fruchtbarkeit der Böden verbessert und dazu brauchen sie weniger Wasser als andere Nutzpflanzen. Das hat mich fasziniert und ich habe begonnen mit Linsen zu experimentieren. Heute sind sie ein fester Bestandteil meiner Ernährung; insbesondere Berglinsen aus der Schweiz. Sie können sich also vorstellen, welch freudiger Blick zu Priska ging als sie mir den Burger servierte und die Freude wurde auch beim Essen nicht kleiner. Falls sie nun den Linsenburger in der Ortstockhütte auf ihre imaginäre ‘könnte-ich-auch-mal-machen’ Liste aufgenommen haben, muss ich sie enttäuschen, denn der Linsenburger ist nicht Bestandteil der Tageskarte.
Während ich das Nachtessen genoss, merkte ich, dass es das erste Mal war, dass ich in Braunwald ein Fleischersatzprodukt gegessen hatte. Es lässt sich dabei diskutieren, ob man dies so nennen möchte, so hatten die Linsen vor mir abgesehen von der Form eines Burgerpatties und deren Namen nichts mit Fleisch zu tun und versuchten auch nicht den Geschmack ebendieses zu imitieren. Alternativen zu Kuhmilch haben ihren Weg in den letzten Jahren nach Braunwald gefunden, so kann man in unterschiedlichen Restaurants den Kaffee mit Hafermilch bestellen oder im Schwettibergladen ebendiese kaufen. Doch bei den Alternativen zu Fleisch werde ich nicht fündig. Ein Blick in die Speisekarten der Restaurants und Regale der Lebensmittelgeschäfte in Braunwald verrät, dass sich praktisch keine solchen Produkte in die kulinarischen Angebote in dieser Bergregion integriert haben.
Meine Überraschung über den Linsenburger kommt zudem von der Abweichung zur häufigen vegetarischen Antwort in den Bergen: Käse, viel Käse, in allen Formen und Variationen. In Braunwald ist es ein spezifischer Käse, Ziger, von Schabziger-Kartoffeln als Beilage bis zu Zigerhörnli. Ich lehne diese Antwort keines Falles ab, so ist ein Fondue neben der Piste kaum zu übertreffen und auch der Kühlschrank bei der Braunwaldalp erweckt immer wieder meine kindliche Neugierde. Wir sollten Käse als vegetarisches Substitut jedoch nicht ohne zu überdenken übernehmen, so wirft diese Antwort viele Fragen auf, die wir vor dem Hintergrund der Herausforderungen, vor denen das Lebensmittelsystem steht, nicht ignorieren können. Auch wenn ich in Braunwald dazu tendiere diesen Fragen zu entweichen und mich dem kulinarischen Genuss hinzugeben, kann ich und will ich mich diesem Thema auch hier nicht ganz entziehen. Ich wurde also neugierig und machte mich auf die Suche nach Alternativen. Was wäre eine angemessene vegetarische Antwort in den Glarner Alpen?
Meine Empfehlung: lokale und saisonale Eigenkreationen, die ganz ohne Ersatzprodukte auskommen. Zugegeben, dies braucht Zeit und gewisse Fähigkeiten. Doch liegt nicht gerade darin der Luxus von Braunwald für Ferienhausbesitzende, weg vom Alltagstrubel, mehr Zeit für ebendies? Berglinsen passen thematisch sehr gut in die Alpenküche. Doch sie werden vorwiegend in der Westschweiz angebaut und nicht in den Glarner Alpen. Möchte ich den geografischen Fokus beibehalten, führt mich die Suche nach der vegetarische Glarnerkulinarik vor allem zu Ziger, so zum Beispiel als Teil vom vegetarischen Landsgemeindemenü von Noah Bachofen. Wenn ich nun kein Käse in mein Menü integrieren möchte, führt mich die Suche zu Zoggle – kurz: Spätzli mit Kartoffeln. Ich habe für meine Kochexperimente das Rezept ‘1034 Zoggle’ von Elisabeth Fülscher ‘neu gekocht’ als Startpunkt genommen. Original werden diese zwar auch aus Milchprodukten hergestellt, eine rein pflanzliche Abwandlung ist aber kein Problem und schmeckt herrlich – ich werde es auf jeden Fall in mein Braunwalder Rezept-Repertoire aufnehmen. Aber auch hier ist Ziger omnipräsent. Jegliche Rezepte empfehlen noch etwas Schabziger mit der Bircherraffel darüber zu reiben. Es ist also naheliegend, diesem Phänomen in der nächsten Ausgabe einmal auf den Grund zu gehen, und bis dahin wünsche ich viel Freude beim Experimentieren in der (Ferienhaus-)Küche.